ABWESEN – dead species walking


Nicht, dass ich nicht wüsste, dass das sechste große Massensterben stattfindet, dass die Populationsgröße vieler Arten dramatisch zurückgeht. Ich kenne die Pressemitteilung des WWF, wonach seit 1970 etwa 60-70 Prozent der Wirbeltiere verschwunden sind. Ich sage mir, das ist also passiert in der kurzen Zeitspanne, in der ich auf der Erde lebe. Ich weiß das, aber nehme ich es wirklich wahr, sehe ich es draußen? Das Verschwinden geschieht unmerklich, selbst die Abwesenheit bleibt seltsam ungreifbar. Mein Projekt erkundet den gigantischen, weithin unsichtbaren Prozess des Massensterbens. Ich taste die Abwesenheit der aussterbenden Tiere ab, und baue eine Brücke in die digitale Welt, die zur eigentlichen „Natur“ vieler Menschen geworden ist. Mit Filmaufnahmen, gedreht in leeren Biotopen, einst von Tieren bewohnt, die jetzt „Abwesen“ sind. Entgegen dem üblichen Fokus von Naturschutzkampagnen auf Großsäuger stehen kaum beachtete Arten (wie z.B. die Rotbauchunke) im Mittelpunkt. Tiere, die anders als Eisbären oder von Nashörnern keine Chance haben, zu medialen Stars zu werden. Arten, die stark dezimiert  als „dead species walking“ am Rande des Aussterbens stehen. Mit dem Wahrnehmbarmachen der Abwesenheit verfolge ich in Kontrast zur gemeinhin dominierenden Formensprache der Naturverfilmung eine radikal-minimalistische Strategie. Statt „Natur“ mit (symphonischer) Musik unterlegt zu inszenieren, wie in Tierfilmen üblich, werden hier „Abwesen“ wie die Grüne Mosaikjungfer (eine Libelle) dadurch evoziert, dass über sie assoziativ gesprochen wird, sie in den Bildern von ihrem Lebensraum aber nicht zu sehen sind. Die Texte von Udo Grashoff sind empathische, assoziative Kurzporträts. Es sind Collagen aus Bruchstücken menschlichen Wissens über vom Aussterben bedrohte Tiere. Die Texte bestehen aus Zitaten, die aus wissenschaftlichen Studien, Lexika und Sachbüchern entnommen wurden, und eine Ahnung geben von dem, was verloren geht. Nicht im tropischen Regenwald, sondern hier in Deutschland.

 

Weitere Informationen

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Beteiligte Künstler:innen

Clara S. Rueprich



Laufzeit

ab 30.04.2022 (online)



Veranstaltungsort

online