Aptiv Syndrome. Ein Bericht


Markovics umfassende Recherche „Aptiv Syndrom“ konzentriert sich auf die Produktionsverhältnisse der für den digitalen Kapitalismus notwendigen Infrastruktur. Ausgangspunkt ist eine staatliche Initiative Serbiens der letzten Jahre, die den Einsatz von Billigarbeitskräften und damit neue Produktionsstätten der Tech-Industrie fördert. Dadurch sind im südöstlichen Teil des Landes zahlreiche Filialen globaler Konzerne, vor allem der Automobil- und Elektrotechnikindustrie, entstanden. Hier werden bei der Produktion von Halbleitern und Mikrochips sowie der Elektrifizierung und Datenkonnektivität größtenteils weibliche Arbeitskräfte beschäftigt. Der Projekttitel bezieht sich auf die Beobachtungen eines lokalen Orthopäden, der bei Arbeiterinnen des englischen Unternehmens Aptiv das gleichzeitige Auftreten verschiedener Krankheitssymptome wie Daumen- und Handgelenkverletzungen, Schwellungen, Ischias-Schmerz und Spondylose, feststellte, als die Arbeitsschicht auf 12 Stunden anstieg. Indem das Projekt die strukturelle und psychophysische Ausbeutung der Arbeiterinnen abseits der Zentren des globalen Nordens beleuchtet, schafft es ein Bewusstsein um die schonungslosen Produktionsbedingungen der zeitgenössischen Tech-Industrie. In Zusammenarbeit mit ehemaligen Arbeiterinnen der Unternehmen Aptiv, Yura, und Lione mit Sitz in Südostserbien und mit Weberinnen des Webvereins „Atelje 61“ aus Novi Sad, ist eine mehrteilige Installation geplant, die 9 handgewebte Wandteppiche aus verschiedenen Elektrokabeln, unlesbar belassene Arbeiterinnen- Tagebücher und ein Operationsvideo zeigen soll. LIYCY, UTPPatch, Flat Ethernet und FFC Kabel bilden die essenzielle Infrastruktur der Tech-Branche. Die Weiterverarbeitung der Kabel zu Teppichen im Rahmen des künstlerischen Projekts setzt der eng getakteten, ausbeuterischen industriellen Arbeit entschleunigte Gestaltungsprozesse unter fairen Bedingungen entgegen. Dabei legt die konventionell weiblich codierte Webtechnik zugleich die realen Genderverhältnisse offen, die die Produktionsabläufe der männlich dominierten Tech-Branche stützen. Operationsvideo und Tagebücher referieren unmittelbar auf die körperlichen und mentalen Auswirkungen repressiver Arbeit. Aus der Perspektive eines europäischen Randbereichs beleuchtet das Projekt also zwei Aspekte: die psychophysischen Effekte des digitalkapitalistischen Systems und dessen patriarchal strukturierte Produktionsweisen. Die aktuell entstehende künstlerische Installation soll damit einen Beitrag zu den dringlichen Diskursen um Klimakrise, Kapitalozän und Neokolonialismus leisten. Während die Ausstellung anhand von vorläufigen Aufzeichnungen in den Medien Video, Fotografie und Zeichnung Einblick in den künstlerischen Produktionsprozess bietet, gibt ein Künstlergespräch Aufschluss über die umfangreiche Recherche „Aptiv Syndrom“ und die konkrete Zusammenarbeit mit den verschiedenen Arbeiterinnen in Serbien.

 

Weitere Informationen

Website des Künstlers



Beteiligte Künstler:innen

Dejan Marković



Laufzeit

Ausstellung, 16 - 18.12.2022, Digitale Präsentation, ab 05.12.2022 (online)



Veranstaltungsort

GRAYCE space
Gärtnerstraße 10
10245 Berlin